Laura Großmann hat mehrere Ausgaben des Detect Classic Festivals erlebt. 2024 hat sie bei uns ein Praktikum gemacht und sich mit der Frage auseinandergesetzt, welche utopischen Räume man auf dem Detect Classic Festival entdecken kann.
Auf welchen Ebenen sind Festivals Orte der Utopien? Was macht diese Orte so besonders für uns und wie werden sie erfahrbar gemacht? Was können wir von diesen Orten mitnehmen?
Diese Fragen stellte ich mir, als ich das Detect 2024 zum dritten Mal erleben durfte. Im Griechischen für die Wörter "no-place" (outopia) und "good-place" (eutopia) stehend, zeigen Utopien Orte auf, die (noch) nicht vorhanden sind – Formen des gesellschaftlichen Miteinanders, die wir uns erträumen, erdenken und die wir erleben wollen. Der Begriff geht bis ins 16. Jahrhundert zurück und bietet seither Raum für gesellschaftliche Imagination.
Utopien funktionieren immer als ein sinnstiftender Gegenentwurf zum Status Quo. Sie hinterfragen gegenwärtige Strukturen und versuchen, Alternativen zu finden. Ich habe mich gefragt, wo es in unserer Gesellschaft heutzutage diese Orte gibt, die Utopien erfahrbar machen und ich finde, das Detect Classic Festival ist so ein Ort.
detect als sozial-gemeinschaftlicher raum
Schloss Bröllin ist ein kultureller Ort. Er bietet eine Landschaft für künstlerisches Schaffen, performative Künste und kreativen Austausch. Deshalb ist er ein wunderbares Pendant zum Detect.
Jedes Jahr schafft das Festival hier individuelle und kollektive Momente des Verbundenseins und einen Rahmen für ein anderes Erleben von Gesellschaft. Durch das Netzwerk der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, unterschiedlichster Kunst- und Kulturkollektive, einer Awareness-Struktur sowie des Kurator*innen-Teams schafft es das Detect, einen intergenerationellen Raum zu kreieren, in dem Jung und Alt aufeinandertreffen, tanzen und lauschen können. Die multimedialen, affektiven Darbietungen sprechen alle Sinne an. Jede Bühne bietet Platz für Genre-Fusion. Ob Technobeats im Là Kritz, klassische Konzerte im Bogen oder elektronische Klänge auf der Flora, es gibt viel zu entdecken.
Kollektive Zugehörigkeit und individuelle Identitäten wandern frei durch die musikalischen und performativen Welten, die sich eröffnen, schaffen einerseits eine kollektive Zugehörigkeit, andererseits bieten sich Möglichkeiten, individuelle Identitäten erfahrbar zu machen. Zahlreiche Momente bieten einen Ort für Fragen nach dem Selbst und dem Bewusstsein für das gemeinsame Erfahren von Musik, das uns verbindet.
die temporalität des klangs
Die Kulturanthropologin und Musikjournalistin Bianca Ludewig beschreibt Festivals als "temporäre Möglichkeitsräume", die aktuelle kulturelle Techniken, Lifestyles und Genres widerspiegeln. Dabei sieht sie diese Räume als Spannungsfelder von Innovation, Spiel und Experiment.
Während unser Alltag zeitlich oft fest getaktet ist, bieten Festivals einen besonderen Raum, in dem utopische Momente entstehen können, weil die Zeit eine ganz andere Struktur zu haben scheint. Wir können in Klangwelten eintauchen, egal ob morgens um zehn oder nachts um elf. Spiel und Experiment können im interaktiven Raum vom Kollektiv eigenklang bei Workshops und Installationen erprobt und kreiert werden.

dekonstruktion von genre-kategorisierungen
Beim Detect geht es vor allem darum, Genre-Kategorisierungen zu dekonstruieren. Ob klassisches Konzert mit Instrumenten abseits der europäischen Tradition, komponierte Musik für Synthesizer oder chorale Intermezzi zwischen DJ-Sets. Diese Momente der Transzendenz sind ein weiteres utopisches Element für das Detect.
Bezogen auf die Kuration und Dramaturgie werden die Grenzen von Genres neu gedacht, indem klassische und zeitgenössische Stimmen fusionieren und Aufführungspraxen aufgebrochen oder geöffnet werden. Zentral dabei bleibt die Intention, dieses Festival als ein Musikfestival zu konstituieren, das erforschbar und experimentell zugleich bleibt. Und es ist gerade diese Freude am Erforschen von neuen Erfahrungen, die eine Voraussetzung für utopisches Potenzial ist.
utopiemomente
Mit seinen vielfältigen Stimmen hat mir das Detect auch in diesem Jahr Momente der Immersion und Utopie gezeigt. Den Auftakt bot Erland Cooper mit Streichquartett, dessen musikalische Brise mich direkt auf eine Reise in die Natur Schottlands nahm. Die Harfenistin Teresa Emilia Raff glitzerte und strahlte mit der Morgensonne im Kokon um die Wette und nahm mich mit auf höhere Wolkenfrequenzen. Intermezzi von Maradiuli (georgisch für zeitlos) woben fünf Stimmen zu einem Klangteppich, an den man sich anschmiegen konnte. Gemeinsam wurde dem Bogen der Cellistin Dobrawa Czocher gelauscht, deren Klänge im Abendlicht zu einer feinen und harmonisch gefüllten Klanglandschaft heranwuchsen.


JakoJako und das Detect Ensemble schufen neue klangliche Utopien, indem sie die Töne einer Synthese unterzogen und so in Stil und Klang variierten. Abschließend nahm uns La Chica mit auf ein klangliches Ritual, eine empowernde Reise, in der zusammen gelauscht, gesungen und meditiert wurde.


Was also macht das Detect Festival utopisch? Ist es die Transzendenz der musikalischen Kuration? Der Ort, der verwandelt wird zu einer neuen temporären Welt? Oder sind es die Menschen, die sich inspirieren lassen und neue Ideen in die Welt tragen?
Vermutlich trägt alles dazu bei. Das Detect Classic Festival steht für Entschleunigung und Beschleunigung zugleich, ein Eintauchen in Welten, die kunstschaffende Personen bespielen und die uns erlauben, uns authentisch zu fühlen und uns zu verbinden. Wenn das Detect eine Klangreise ist, dann leiten uns die Künstler*innen an Orte zum Träumen. Und natürlich sind da all die inspirierenden Menschen, die den Wogen der Reise lauschen und diesen Klangraum halten und mitgestalten.
text: Laura Großmann
fotos: Sophia Hegewald und Lucie Schulze
redaktion: Jasmin Falk
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